Unsere Zeit in Buniadu (The Gambia)

Afrika kannten wir aus Fernsehberichten und Erzählungen. Bisher hatten wir uns aber nicht zugetraut, dorthin zu reisen, und als „Touristen“ wollten wir es schon gar nicht. Erst nachdem wir von den RDI Mitgliedern Heide und Christian so viel Interessantes und Motivierendes über Buniadu erfahren hatten, fassten wir den Mut, als Volontäre im Health Center (HC) zu arbeiten und uns auf die für uns fremde Kultur einzulassen. Wir sind von Mitte Februar bis Ende März 2011 für 6 Wochen dort gewesen, zu einer Zeit, in der kein Tropfen Regen fällt, in der die Sonne täglich scheint und meistens ein leichter Wind vom Atlantik weht und die heißen, trockenen Temperaturen erträglich macht. Nachts kühlte es deutlich ab, so dass wir gut schlafen konnten, aber auch lernten, dass man in Gambia warme Kleidung durchaus gut gebrauchen kann: Die Babyschuhe und Jäckchen, die eine emsige RDI-Unterstützerin aus der Schweiz gestrickt hatte, wurden von den Müttern der jüngsten Patienten des HC dankbar angenommen.
Heike und Heiner freuten sich auf unser Kommen, denn es gab viel zu tun: Die Dach- konstruktion des HC musste für die angekündigte Solaranlage verstärkt werden, es war ein neuer Lagerplatz für die Container herzurichten, und am Rettungswagen gab es einiges zu reparieren. Mehr als die Hälfte unseres Gepäcks war mit nützlichen Hilfsgütern voll gestopft, darunter vielerlei Werkzeug und ein funktionierendes Blaulicht aus DDR Beständen für den Rettungswagen. Die erste Nacht verbrachten wir bei Heike und Heiner in ihrer Lodge am Rande des Dorfes, nahe einem Nebenarm des Gambia River. Am nächsten Tag zogen wir mit Omars Eseltaxi in die Dorfmitte, in den Compound von Dembo Manneh (dazu später mehr).
Zusammen mit uns war Sarah – eine junge Ärztin aus Hamburg – zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Während der ersten 2 Wochen haben wir alle Räume gemeinsam mit den einheimischen Mitarbeitern ausgeräumt und renoviert; denn wegen der Dacharbeiten (Wellblech, Dachsparren und die 5 mm Hartfaser-Deckenplatten waren auszutauschen) gab es auch drinnen viel Dreck und eine normale Krankenversorgung war nicht möglich.
Das alte Wellblechdach hatte den Wassermassen während der Regenzeit nicht mehr stand- gehalten und so hatten sich die Zimmerdecken gewellt und große braune Flecken bekommen, die sich auch nicht durch Überstreichen ausbessern ließen. Alle 4 Räume des HC sowie der Flur wurden mit gambianischer Binderfarbe (Marke: Extradünn) mehrfach gerollt, um ein deckendes Ergebnis zu erhalten. Für Spinnen und Heimchen gab es keinen Platz mehr, nachdem der Fußboden rund ums Waschbecken gefliest wurde. Natürlich kam auch das berühmte „RDI-Blau“ zum Einsatz. Alle Türen und Fenster wurden damit gestrichen, auch die Wände rund um das Waschbecken. Wir putzten das gesamte Mobiliar so wie Fenster und Fußböden, Türen gründlich. Als nach zwei Wochen das Dach fertiggestellt war, konnten dann Möbel, Medizin und Geräte in die Zimmer eingeräumt werden. Heike, die sich schon um ihre Patienten sorgte, war froh, dass die Räume nun wieder ihrer eigentlichen Bestimmung übergeben werden konnten.
Wir bemühten uns in diesen ersten Wochen sehr darum, trotz tropischer Wärme mit Ausdauer zu arbeiten. Besonders anstrengend war es, wenn in der Mittagszeit die Hitze auf den Schultern lastete, so dass jeder Schritt schwer fiel und mit Bedacht gesetzt wurde. Umso mehr genossen wir die gemütlichen Frühstückspausen mit Heike, Heiner, Sarah und Christa (sie war für eine Woche nach Buniadu gekommen, um Hilfsgüter aus der Schweiz zu bringen), mit Moussa, Maimouna, den beiden Omar, Dodo, Lamin und Ousman bei Kaffee, Tee und Tapalapa (Baguette mit Spaghetti, Tomaten, Fisch, Huhn oder Ei). Ebenso willkommen war die Erfrischungspause am Nachmittag, wenn uns die Zunge am Gaumen klebte und sich Erschöpfung breit machte. Dann war es ein Genuss, die Papaya zu essen, die Omar oder Maimouna auf dem Grundstück des HC gepflückt und für alle aufgeschnitten hatten, oder den Ataya zu trinken, den Lamin aufbrühte und der uns wieder auf die Füße half.

Auch nach der Wiedereröffnung des HC gab es für uns Volontäre noch genug zu tun: Der Rettungswagen bekam ein „neues“ Blaulicht (vom Bremer Schrottplatz) und eine englische Beschriftung, der Sockel des Wasserturms war zu verputzen (da sollte die Energiezentrale hinein), die von Heike vorgezogenen Bougainvillen sollten längs der Hofmauer als „blühender Stachelzaun“ gepflanzt und aus Sperrholzresten ein paar praktische Regale gebaut werden.
Für die Tischlerin war der überraschende Auftrag für eine Beinschiene eine dankbare Aufgabe, denn so konnte doch auch mal ein direkter Dienst am Patienten geleistet werden.

In den letzten 2 Wochen waren wir mit dem Planieren des zukünftigen HC Containerplatzes von ca. 12 m x 12 m auf dem benachbarten Schulgrundstück beschäftigt. Heiner hatte Kurt zum „Level Man“ ernannt. Mit Gartenschlauch („kommunizierende Röhren“!), Wasserwaage, Zollstock (Bandmaß war mal wieder „verschwunden“), Hammer und ein paar Holzpflöcken hatte er den Platz bald vermessen und nivelliert, und die Einschalung der Fundamente für die Grenzmauern konnte beginnen. Renate hatte stundenlang die Schalbretter mit dem Fuchsschwanz aus 12 mm Sperrholz zugeschnitten, denn gerade Bretter gibt es auf Gambias Northbank nicht. Der Lagerplatz wurde bei sengender Hitze (~40°C) unter Moussas strenger Leitung von Tagelöhnern aus dem Dorf mit grobem rötlichem Laterit-Schotter aufgefüllt. Den hatte die senegalesische Firma gestiftet, die gerade die Landstraße von Buniadu nach Albreda planierte. Die Firma schickte später auch noch eine Walze – gut, wenn man Freunde hat.
Nach solchen Tagen konnten wir die Dusche aus dem Wassersack gut gebrauchen, um dann den Abend mit Sarah, Heike und Heiner am Lagerfeuer bei der Lodge ausklingen zu lassen.
In der Lodge haben wir abends zusammen auch immer phantastische Mahlzeiten gezaubert und genossen. Aber geschlafen und gefrühstückt (meist Müsli mit Milchpulver und Bananen) haben wir mitten im Dorf Buniadu „mit Familienanschluss“ im Compound von Dembo Manneh. Außer seinen 2 Frauen Sally und Fatou und elf Kindern wohnten dort noch eine Kuh, ein Kalb, ein Esel, eine Katze sowie etliche Ziegen und Hühner. Geweckt wurden wir stets vom morgentlichen Hirsestampfen und vom Esel, der wiederum kurz nach 5 Uhr vom Muezzin und den davon aufgeschreckten Dorfhunden geweckt wurde, ein tolles Frühkonzert!
Wenn wir uns gegen 8 Uhr auf den sandigen Weg zum HC machten, saß die Sippe schon im Hof und teilte sich die große Schüssel Hirsebrei. Mit viel „sama dawedi“ (wie ist der Morgen) und „i sama“ (guten Morgen) und Schütteln vieler Kinderhände bahnten wir uns den Weg.
Außer Heike und Heiner, die am Ortsrand wohnen, waren wir die einzigen „Toubab“ (Weiße) mitten im 500-Seelen-Dorf, also eine tägliche Sensation, wenn wir zur Arbeit ins HC gingen oder nach Feierabend zurück kamen. Schon nach wenigen Tagen kannten die meisten Dorfbewohner unsere Namen und wussten, dass wir im HC arbeiteten. Nicht alle sprechen die häufig benutzte Sprache der Mandinka. Einige sprechen Fulla, Wolof oder Diola, je nach Volkszugehörigkeit. Die Kinder probieren auch gerne ihr Englisch aus, das sie in der Schule lernen und das in Gambia die Amtssprache ist. Es wird aber nur von wenigen Älteren beherrscht.
So gibt es auch für das medizinische Personal des HC ständig das Problem, die Patienten zu verstehen, die genauen Symptome ihrer Leiden zu erfragen und ihnen verständliche Verhaltensmaßregeln auf den Weg zu geben. Die einheimischen Mitarbeiter des HC sind deshalb so ausgewählt, dass sie außer Englisch verschiedene Stammessprachen sprechen.
Das Leben im Dorf war für uns eine große Erfahrung, weil wir lernten, ebenso wie die Einheimischen ohne Elektrizität und fließendes Wasser auszukommen, und weil wir die Freundlichkeit, Offenheit und Gelassenheit der Menschen um uns genossen. Wir vergaßen allmählich, dass wir Weiße waren (in unserer Unterkunft gab es ja auch keine Spiegel).
Was gibt es aus Buniadu sonst noch zu berichten? Schon auf dem Weg zur Arbeit trafen wir morgens manchmal den Fischer, der seinen Fang vom Gambia River per Fahrrad ins Dorf brachte und verkaufte. Am Nachmittag versammelten sich die Frauen beim Schneider, der seine mechanische Nähmaschine unter dem Vordach des Dorfladens aufgebaut hatte. Dabei konnte Renate natürlich nicht fehlen. Sie ließ sich mit lebhafter öffentlicher fachlicher Beratung ein afrikanisches Kleid nähen, das allgemein Aufsehen und Anklang fand.
Weniger begeistert waren die Dorfbewohner, und ganz besonders wir, vom Kankurang, der oft gegen Abend bis in die Dunkelheit hinein sein Unwesen trieb, besonders zum Wochenende. Er hatte ein dichtes Fell von geschabter Faaraa Baumrinde, schepperte laut mit zwei Macheten und stieß ganz entsetzliche Schreie aus. Angeblich wusste keiner(?), woher er kam. Im historischen Museum von Banjul kann frau/man nachlesen, dass der Faara Kankurang böse Geister und Hexen vertreiben soll und besonders zu Zeiten von Beschneidungen erscheint. Kein Wunder, dass die Kinder um ihr Leben rannten, wenn er auftauchte.
An Wochenenden hatten wir Zeit, bei Spaziergängen die schöne Umgebung von Buniadu kennen zu lernen, den Nebenflüssen des Gambia River (Bolongs) nachzugehen und die wunderbaren Palmgärten zu durchstreifen, in denen die Dorfbewohner im Halbschatten der Ölpalmen Gemüse anbauen für den eigenen Bedarf, oder auch für den täglichen Markt der Provinzhauptstadt Barra, wo dann die Bananen, Gurken, Paprika, Kartoffeln oder Pfefferminze von den Frauen verkauft werden. Damit verschaffen sie sich ein eigenes kleines Budget, das ihnen unabhängig vom Ehemann erlaubt, etwas für die Kinder einzukaufen oder sich selbst hin und wieder mal einen Wunsch zu erfüllen ( beispielsweise Stoff zu kaufen und sich vom Dorfschneider ein hübsches Kleid nähen zu lassen).
Am letzten Wochenende unseres Arbeitseinsatzes in Buniadu haben wir uns dann tapfer mit Rucksack per Buschtaxi „Gille-Gille“ nach Osten ins Landesinnere gewagt, etwa 200 km über Farafenni und Kauur in die Gegend von Kuntaur am Nordufer des Gambia River. Wir wollten die geheimnisvollen Steinkreise von Wassu besuchen, die auf den gambischen 50-Dalasi-Noten abgebildet sind, das „Stonehenge von Gambia“. Mit etwa 15 Menschen bei Temperaturen über 40°C einen klapprigen Kleinbus zu teilen, ist schon ein unvergessliches Erlebnis, das sich jede/r im Leben mal gönnen sollte! Wir fanden die Steinkreise (ca 750 n.Chr.) wenige Kilometer nördlich der „North Highway“ in der staubigen Savanne und es war auch ein kundiger Führer zur Stelle, der sich „Stone Man“ nannte. Er hatte zudem für die nächste Nacht einen guten Tipp: Die paradiesische Lodge „Kairoh Garden“ im nahen Kuntaur, direkt am Ufer des Gambia River. In Kuntaur trafen wir anlässlich einer Wahlveranstaltung auch noch den heiter gestimmten Jamba Kankurang in einem Kleid aus grünem Mahagonilaub. So wurde dieser Trip ein ganz spezieller Höhepunkt unserer Wochen auf der North Bank von Gambia.
Unsere Zeit der Freiwilligenarbeit für die Menschen von Buniadu war und ist eine der beeindruk- kendsten großen Erfahrungen unseres Lebens. Wir sind froh und dankbar, die Menschen in Buniadu und ihre Lebensweise kennengelernt zu haben. Wir ziehen unseren Hut vor Heike und Heiner, die mit Idealismus, Ausdauer und Geduld eine großartige Arbeit für die Menschen auf der Northbank von Gambia leisten.
Vielen Dank an Heike, Heiner und den Verein Riverboat Doctors International, die uns diese guten Erfahrungen ermöglicht haben.
Renate Rabe und Kurt Sommer (Frühjahr 2011)